Konferenz-Bericht der Energiewochen 2025: Die Abrissmentalität muss weg
Bei der Online-Konferenz am 21. Mai 2025 ging es um ein zentrales Thema der Bauwende: Warum werden Gebäude oft abgerissen, lange bevor sie wirklich am Ende sind? Gemeinsam mit dem Architekten und Stadtwissenschaftler Vittorio Magnago Lampugnani wurde darüber diskutiert, welche Mechanismen hinter dieser Entwicklung stecken – und wie sich diese Dynamik aufhalten oder durchbrechen lässt.
Der Bausektor zählt zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen – nicht nur durch den Energieverbrauch im Betrieb, sondern vor allem durch die energieintensive Herstellung von Baumaterialien. Hinzu kommen ein enormer Ressourcenverbrauch und ein hohes Abfallaufkommen. Umso dringlicher ist es, der Schnelllebigkeit im Gebäudebereich entgegenzuwirken, die sich in den vergangenen Jahrzehnten etabliert hat.
Ein enger Nachhaltigkeitsbegriff greift zu kurz
Lampugnanis erste These lautet: Die Debatte über Nachhaltigkeit in Architektur und Städtebau wird bisher zu eng geführt. Statt sich ausschließlich auf technische Effizienz oder CO₂-Bilanzen zu konzentrieren, müsse sie in einen breiteren historischen und kulturellen Zusammenhang gestellt werden. Nur durch diese Einbettung könne ein echter Wandel in der Baukultur gelingen.
Konsumismus als Haupttreiber
In seiner zweiten These macht Lampugnani einen übersteigerten Konsum zur Ursache der ökologischen Krise. Es wird gebaut, ohne dass echter Bedarf besteht – angetrieben von Produktionsüberschüssen in einem wachstumsgetriebenen Wirtschaftssystem. Das führt zu einer rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen.
Wie aus Dauerbauten Wegwerfarchitektur wurde
Anhand eines historischen Rückblicks zeigte Lampugnani, wie ab dem 19. Jahrhundert – durch sinkende Material- und steigende Arbeitskosten – der Umgang mit Baustoffen zunehmend verschwenderisch wurde. Der Konsumismus tat sein Übriges: In den letzten 100 Jahren wurden Gebäude immer kurzlebiger. Ihre Lebensdauer richtet sich heute weniger nach der Substanz als nach ökonomischen Interessen. Abgerissen wird oft, sobald der Bodenpreis steigt und eine Nachverdichtung lukrativ erscheint. Weitere Abrissgründe sind steuerliche Abschreibungen oder die Aufgabe der Nutzung.
Gebäude erhalten statt ersetzen
Lampugnani plädiert deshalb dafür, Gebäude so lange zu erhalten, wie es baulich sinnvoll ist – nicht nur wirtschaftlich oder funktional. Damit das gelingt, müssten sie anpassungsfähig, ästhetisch langlebig und möglichst einfach instand zu halten sein.
Bauen als soziale Verantwortung
Diese bauliche Stabilität ist nicht nur ökologisch relevant, sondern auch sozial: Sie schafft Orte, die sich dem ökonomischen Verwertungsdruck entziehen – und trägt zu einer Stadt bei, die nicht als Unternehmen funktioniert, sondern als nachhaltiges, soziales Gefüge.
Siedlungsflächen begrenzen, Landschaften schützen
Kritisch sieht Lampugnani auch die offene Bebauung in der Peripherie, die sich auf die Gartenstadtbewegung beruft. Heute leben rund 70 % der Europäer in suburbanen Räumen – mit hohem Energieverbrauch und starker Abhängigkeit vom Auto. Die Folge: Landschaft, unsere wertvollste Ressource, wird zunehmend verdrängt. Begrünte Städte können das nicht ausgleichen – entscheidend ist, die Ausweitung der Siedlungsflächen zu begrenzen.
Das nachhaltigste Gebäude ist das, das nicht gebaut wird
Deshalb fordert Lampugnani, grundsätzlich weniger zu bauen – insbesondere keine Zweit- oder Drittwohnungen, keine Ferienimmobilien und keinen spekulativen Leerstand. Der vorhandene Gebäudebestand müsse besser genutzt und weitergedacht werden. Neubau dürfe die Ausnahme sein, nicht die Regel.
Ein notwendiger Wandel
Was es dafür braucht, ist laut Lampugnani ein grundlegender Paradigmenwechsel – ein Umdenken auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene. Die ökologische Krise ist nicht allein technisch oder ökonomisch lösbar, sondern verlangt vor allem ein neues Verständnis von Maß und Ziel. Eine Wirtschaft, die sich von der Illusion des unbegrenzten Wachstums verabschiedet. Ist das eine Utopie? Ja – aber eine notwendige. Ohne diese Utopie, so Lampugnani, bleiben alle Bemühungen um nachhaltige Architektur bloß mildernde Maßnahmen – und werden die ökologische Katastrophe nicht verhindern.
👉 Tipp: Wer tiefer einsteigen möchte, sollte sich auch die Podiumsdiskussion im Anschluss an den Vortrag ansehen. Gemeinsam mit Florian Hertweck, Professor für Architektur an der Universität Luxemburg, und Ben Pohl, Urban Designer bei Denkstatt sàrl und Mitgründer des Basel Institut für angewandte Stadtforschung, entstand ein spannender Austausch über neue Narrative, Sicherungsmechanismen und interdisziplinäre Kompetenzen für die Bauwende.