Webinar-Bericht der Energiewochen 2023: Die Bauwende im Planungsbüro – Nachhaltigkeit im Gebäudeentwurf
Jana Nowak, Tragwerksplanerin und Spezialistin im Bereich emissions- und ressourceneffiziente Tragwerke, hat in ihrem Webinar am 4. Oktober 2023 konkret gezeigt, wie eine vorausschauende Planung die „grauen Emissionen“ im Gebäudebereich wesentlich reduzieren kann. Das Thema stieß auf großes Interesse: 89 Teilnehmer vor allem aus dem Baubereich nahmen an dem Webinar teil.
Die Transformation des Bauwesens fängt bei der Planung an. Dies war die Hauptbotschaft der Referentin Jana Nowak, die vom Oekozenter Pafendall in Zusammenarbeit mit dem Mouvement Ecologique zu den diesjährigen Energiewochen der Bauberatung eingeladen worden war, um zu erörtern, wie die so genannten „grauen Emissionen“, die von der Materialherstellung bis zum Abbau eines Gebäudes verursacht werden, schon in der Planung berücksichtigt werden können.
Die Referentin formulierte drei Leitfragen, an denen sich Architekt:innen, Ingenieur:innen und Bauherren orientieren können, um Gebäudekonstruktionen möglichst nachhaltig zu gestalten.
Erstens stellt sich die Frage nach der Effizienz, d.h. wie konzipiert man ein Gebäude, damit möglichst wenig Rohstoffe und Energie für den Bau benötigt werden: „Wie können wir besser bauen?“
Zweitens geht es um die Konsistenz und damit um kreislaufgerechtes Bauen: „Wie können wir im Einklang mit den ökologischen Kapazitäten unseres Planeten bauen?“.
Drittens sollten wir uns die Frage nach der Suffizienz stellen oder, anders formuliert, wie können die Gebäudestrukturen so konzipiert werden, damit sie anpassungsfähig und nutzungsflexibel sind bzw. bestehende Strukturen oder Elemente wiederverwendet werden können: „Wie können wir weniger bauen?“
Während dies komplex wirken mag, vertrat Jana Nowak die Ansicht, dass eine vorausschauende Gebäudeplanung angesichts des Klimawandels und zunehmender Ressourcenknappheit an Bedeutung zunehmen und innerhalb der nächsten 50 Jahren zur Norm werde.
Maßnahmen bei der Planung zur Verringerung der grauen Emissionen
Die Referentin erläuterte die folgenden konkreten Maßnahmen, um die Ressourceneffizienz im Tragwerksentwurf zu erhöhen:
- Den Bestand möglichst lange zu erhalten, ggf. auch umzubauen, um ihn dann weiternutzen zu können. Keine andere Maßnahme spart mehr Ressourcen und Emissionen ein als die Weiternutzung der bestehenden gebauten Umwelt.
- Das Tragwerk eines Gebäudes zählt nach den Fundamenten zu den langlebigsten Bauteilen eines Gebäudes. Flexible und adaptive Konstruktionen unterstützen daher eine möglichst lange Nutzungsfähigkeit der Gebäude.
- Die Dauerhaftigkeit bzw. die Qualität einer Konstruktion erhöht seine Lebensdauer und reduziert die Notwendigkeit von Instandhaltungs- und Austauschmaßnahmen.
- Materialien wiederverwenden: Die Nutzung wiederverwendeter und recycelter Materialien und Bauteile einplanen. Eine Reihe von Bauteilbörsen sind in letzter Zeit entstanden und entsprechende Regularien, die ermöglichen, dass Baustoffe nach dem Abbau zu Sekundärbaustoffen (und nicht zu Abfallstoffen) werden, wurden in Deutschland bereits auf den Weg gebracht.
- Kreislauffähigkeit mitplanen: Reversible Gebäudekonzepte und demontierbare Verbindungen ermöglichen die Wiederverwendung nach dem Lebenszyklusende erst. Ein „Gebäuderessourcenpass“ beinhaltet mit der Gebäude-Materialdatenbank und den dazugehörigen Materialpässen alle nötigen Informationen über die zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie über deren Demontagefähigkeit und Verwertungspotential.
Folgende weitere Maßnahmen in der Tragwerksplanung wurden genannt, um den Materialeinsatz und mit ihm verbundenen Treibhausgasemissionen zu reduzieren:
- Spannweiten reduzieren und durch ein engeres Stützenraster auch die Deckenstärke reduzieren. Diese Maßnahme bringt die meisten Emissionseinsparungen beim Tragwerk, denn die Decken haben einen Anteil von bis zu 50% an den konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen.
- Decken optimieren durch unterschiedliche Ausführungsvarianten z.B. Balkendecke statt Flachdecke und/oder durch andere Materialien z.B. Brettsperrholz statt Stahlbeton.
- Gründung und Untergeschosse hinterfragen und optimieren. Die Untergeschosse werden aus Stahl-Beton hergestellt und sind somit sehr emissionsintensiv, daher sollte immer auch darüber nachgedacht werden, ob nicht ein Geschoss höher gebaut werden kann anstatt in den Boden zu gehen.
- Einen klaren vertikalen und horizontalen Lastenabtrag ohne Versprünge und Auskragungen vorsehen, denn diese bewirken aus statischen Gründen sehr hohe Materialaufwendungen.
- Materialien mit geringen grauen Emissionen verwenden: Ökobilanzierungen ermöglichen die Bewertung und den Vergleich der Emissionseffizienz von verschiedenen Ausführungsvarianten.
- Materialgüten spezifizieren, d.h. wenn z.B. Beton eingesetzt werden muss, können Emissionen zumindest noch über die Bindemittelmischung eingespart werden.
- Querschnitte optimieren durch parametrisches Entwerfen: Es handelt sich hierbei um eine digitale Methode, um z.B. bei einem Decken-Tragwerk das Stützraster und die Deckenstärke optimal an die Lastannahmen anzupassen. Auch hierdurch können 10% der Emissionen eingespart werden.
- Lastannahmen konkretisieren: Hier ist ein Abwägen notwendig zwischen höheren Emissionen durch zusätzlichen Lastannahmen ( d.h. die über die gesetzlich geforderten Mindestannahmen hinausgehen) und einer dadurch erzielbaren höheren Nutzungsflexibilität bzw. Lebenserwartung. Konkrete Nachnutzungsszenarien helfen dabei, unnötig hohe Lastenannahmen zu vermeiden.
Anschließend hat die Referentin noch einen kurzen Exkurs in die Materialherstellung und die prozessbedingten Emissionen gemacht.
Einsparpotential bei Baumaterialien
Sie ist dabei exemplarisch auf die Baumaterialien Stahl, Beton und Holz eingegangen.
Beim Stahl wurde deutlich, dass in der Primärschiene, also für die Herstellung von neuem Stahl, 2/3 der Emissionen energiebedingt sind und bereits im Hochofen anfallen. Demgegenüber sind 1/3 der Emissionen prozessbedingt, denn durch den chemischen Prozess der Reduktion des Eisenerzes entsteht CO2. In der Sekundärschiene, also beim Recycling von Stahl, werden in Gasöfen oder Elektrolichtbogenöfen Emissionen durch niedrigere Temperaturen eingespart. Im Gegensatz zum Beton entstehen beim Stahl durch eine höhere Materialgüte keine zusätzlichen Emissionen. Es ist daher ratsam, auf eine höhere Materialgüte zu setzen, um dadurch die Menge an benötigtem Stahl insgesamt zu reduzieren. Empfehlenswert sind auch die Green-Steel-Initiativen. Hiermit kann man Stahl mit einem geringeren Fußabdruck ausschreiben.
Beim Beton verhält es sich umgedreht, 2/3 der Emissionen sind prozessbedingt (durch die chemische Reaktion bei der Zementherstellung) und 1/3 der Emissionen sind energiebedingt. Da allerdings Beton weltweit so häufig verbaut wird, ist allein die Zementherstellung für 8% der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Durch Recyclingbeton werden daher keine Emissionen eingespart, hier wird lediglich ein Prozentsatz des Natursteinkies durch Recyclingmaterial ersetzt. Dadurch werden zwar Rohstoffe eingespart, aber keine CO2 -Emissionen. Einsparungen sind allerdings möglich durch die Verwendung von klinkerarmem Zement (CEM III, CEM IIb, CEM IV), von Beton mit einem niedrigeren Zementanteil, von weniger materialintensiven Bauteilen (wie z.B. einer Beton-Rippendecke statt einer Beton-Flachdecke) oder wenn nichttragende Bauteile durch andere Materialien wie z.B. Lehmsteine, die lediglich 1/5 der Emissionen verursachen, ersetzt werden.
Beim Holz wird in der Wachstumsphase Kohlenstoff eingelagert. Damit hat Holz zunächst negative Emissionen bzw. eine CO2-Gutschrift, die dann ggf. bei einer thermischen Verwertung am Lebensende wieder gegengerechnet wird. Dies ist allerdings kein Nullsummenspiel, da im Verarbeitungsprozess und beim Transport zusätzliche Emissionen anfallen. Außerdem gibt es unter den verschiedenen Holzprodukten auch unterschiedlich hohe Emissionen. Grundsätzlich steigen die Emissionen parallel zu dem Industrialisierungs- bzw. Verarbeitungsgrad des jeweiligen Produkts. Hinzu kommt, dass Laubholz eine höhere Sequestrierung hat als Nadelholz, weil es eine höhere Dichte besitzt und entsprechend mehr Kohlenstoff einlagert. Die Berechnung der Emissionen aus dem Transport hat gezeigt, dass 1 m³ Holz 5.000 km transportiert werden kann bis es die gleiche Menge an Emissionen verursacht wie die Herstellung von 1 m³ Beton. Dieser Vergleich wurde in erster Linie gezogen, um den Anteil der Transportemissionen beim Holz zu veranschaulichen. Denn in waldreichen Gebieten sollte natürlich in erster Linie regionales Holz verwendet werden. Zudem sollte das Holz immer aus einer nachhaltigen Forstwirtschaft stammen und entsprechend zertifiziert sein.
Die Webinar-Teilnehmenden konnten sich bei den nachfolgenden Gebäudebesichtigungen, die im Rahmen der Energiewochen organisiert wurden, ein Bild davon machen, wie einige der von der Referentin beschriebenen Maßnahmen und Prinzipien auch in Luxemburg verfolgt werden (siehe separater Bericht).
Das Webinar wurde nicht aufgezeichnet. Weitere Informationen zur Referentin und dem „Attitude Building Collective“ finden Sie auf: https://abcollective.notion.site/Welcome-to-the-ABC-746aeddc1574416a926c2bca2a292f93